Die Autor*in und Aktivist*in Hengameh Yaghoobifarrah macht Werbung fürs KaDeWe. Damit will das Luxuskaufhaus einen Nimbus der Wokeness kreieren. Aber kann das funktionieren? Ein Besuch

So gut hat schon lang keine Werbung mehr bei mir gewirkt. Nur drei Tage, nachdem die Medienaufregung um Hengameh Yaghoobifarahs KaDeWe-Werbung einsetzte, schlängele ich mich an den Unicef-Unterschriftensammlern auf dem Wittenbergplatz vorbei, die es eigentlich vor jedem Kaufhausbesuch schaffen, mir ein schlechtes Gewissen zu machen.

Ich suche die Schaufensterscheiben ab, ganz rechts hängt Yaghoobifarahs Motiv. Die Autor*in (die Schreibweise bevorzugt Hengameh und daran halte ich mich lieber) ist auf einer riesigen Schwarzweiß-Fotografie des 24 Jahre alten Fotografen David Giorgadze zu sehen, davor eine Schaufensterpuppe, „Alles allen!“ steht als Zitat auf der Scheibe. Das ist der Satz, der seit Tagen für Empörung sorgt, schließlich wollte Yaghoobifarah kürzlich noch Polizisten auf Mülldeponien verbannen, und jetzt deklariert sie eine Reklame zur subversiven, kommunistischen Propaganda, so zumindest ihre eigene Darstellung in den sozialen Netzwerken.  

Die Botschaft mag ein wenig verschwurbelt daher kommen, die Intention der Werbeaktion ist hingegen klar zu erkennen: Das KaDeWe will, wie momentan ungefähr jede Institution in der Modebranche, einen Nimbus der Wokeness kreieren, Mode zur diskursfähigen Identifikationsfläche machen. Die junge Zielgruppe fährt nicht mehr auf plumpe Statussymbole eines konservativen Luxusverständnisses ab, man muss sie mit gesellschaftlich relevantem storytelling locken – so die Marketingweisheit Nummer eins der vergangenen Jahre. Deshalb kommt kaum noch eine Modekampagne ohne das Schlagwort diversity aus. Und auch im Fall der KaDeWe-Werbung geht es um folgende Idee: Luxus soll für alle da sein, alles ist möglich, Dissonanzen muss man aushalten können, man kann „den Kapitalismus hassen“, wie Yaghoobifarah auf Instagram schreibt, und trotzdem Werbung machen, kein Problem. Außerdem trägt Yaghoobifarah nicht irgendeinen 4000-Euro-Mantel, sondern einen von Marni, ein Label, das weniger für Logo-Geballer als für subtilen Kennerkult steht.

„Alles allen“. Natürlich will ich auch alles. Ich war schon lange nicht mehr im KadeWe, nicht nur wegen der Pandemie, auch wegen der Sorte Verkäuferin, die sich nur für graublonde Charlottenburgerinnen im Kaschmirponcho verantwortlich fühlen. Jetzt will ich es noch mal wissen.

Ich lasse mir bei Gucci die neue rote Horsebit-Bag zeigen, mit der Verkäuferin fachsimple ich über Alessandro Micheles Einfluss auf die Modebranche. Ich fange an, mir mental ein Argumentationsgerüst zurechtlegen, das den Preis von 2.100 Euro für diese Tasche rechtfertigen würde. Schließlich notiert mir die Verkäuferin die Produktnummer auf einem Zettelchen, den sie in einen winzigen Gucci-Umschlag steckt, ich verstaue den Umschlag in meiner Manteltasche.

Aber erst einmal fahre ich in den fünften Stock, wie alle, die im KaDeWe gerade nicht weiterwissen, suche ich Zuflucht in der Essensabteilung. Ich hätte Lust auf ein Glas Champagner, aber ich habe Angst, was ich dann mit meiner Kreditkarte machen werde, und außerdem ist mir das dann doch zu viel Klischee.

Also trinke ich Apfelschorle und denke darüber nach, wie seltsam es sich anfühlt, wenn  Instastory-Weisheiten zum Leben erwachen. Denn Wokeness und Luxus zu einem provokanten Marketing-Gag zu verquirlen, der die konservative Boomer-Weltsicht triggern soll, das ist doch der schlichte Inbegriff des prototypischen Millennial-natürlich-denke-ich-schon-eher-links-Selbstverständnisses: Widersprüche in der Weltanschauung werden per Insider-Kommunikation abgehandelt. Konsumlust wird nonchalant mit Konsumkritik verknüpft. In lapidaren #fuckcapitalism-Social-Media-Posts macht man sich gegenseitig auf „internalisierten“ Kapitalismus aufmerksam, gleichzeitig kämpft mandamit um Likes, die im Internet ja eigentlich auch eine Währung sind. Aber man muss auch gönnen können, das ist wichtig fürs allgemeine Wellbeing, also seid mal nicht so engstirnig und lasst den Leuten ihre Werbegigs.

Ich kaufe mir die Gucci-Tasche natürlich nicht, zum Trost aber eine Tüte Neuhaus-Trüffel. Bringt nichts. Als ich mich von der Wir-waren-nur-mal-gucken-Menschenmasse wieder nach draußen in den Regen schieben lasse, fühle ich mich innerlich so leer und erschöpft, wie sich nur ein echtes Konsumopfer fühlen kann. Und ich denke mir, dass es letztlich total egal ist, wie hintergründig man sich das eigene Luxusverständnis zurechtgelegt hat – Tatsache ist, dass ich jetzt an nichts anderes mehr als eine rote Handtasche denken kann. Es wird einen ganzen Tag dauern, bis ich mich von der Versuchung wieder erholt haben werde. Vielen Dank auch, Hengameh!11!

PS Inzwischen wurde Yaghoobifarahs Schaufenster schon wieder umdekoriert – angeblich hat das aber nichts mit der Kritik daran zu tun.