Auf TikTok veralbert die junge Amerikanerin @mayalepa Millennials und deren Vorliebe für Harry Potter. Die Reaktionen auf ihr Video gingen viral. Hier antwortet ein konsternierter Millennial.

Dieser Artikel ist zuerst am 20.06.2020 auf WELT.de erschienen

 

Es war ein gewöhnlicher Abend, an dem ich mich auf dem Sofa liegend von einem Videocall-überlasteten Homeoffice-Tag erholte, auf Netflix lief irgendwas, neben mir lag pflichtschuldig aufgeschlagen der Essayband „Trick Mirror“ von Jia Tolentino, in dem ich schon seit Monaten mal wieder weiterlesen wollte, augenblicklich scrollte ich aber lieber durch Instagram. Nichts deutete auf den Schock hin, der mich gleich ereilen und aus meiner feierabendlichen Berieselungsapathie reißen sollte.

Doch irgendjemand hatte ein TikTok-Video hochgeladen und dazu einige Tweets gestellt (diese crossmediale Aufarbeitung von viralen Phänomenen ist gerade ziemlich beliebt, um klarzustellen, dass man selbstverständlich auf allen relevanten Plattformen unterwegs ist, aber das nur am Rande).

Jedenfalls ereiferte sich in jenem Video eine wirklich sehr junge Frau über Millennials – und darüber, dass noch ältere Menschen, die Babyboomer, in ihrem rauschhaften Unbehagen gegenüber sämtlichen nach 1985 geborenen Digital Natives gern mal Millennials und deren Nachfolger-Generation Z über einen Kamm scheren würden.

„Ich persönlich“, so die TikTok-Userin @mayalepa, „möchte nicht mit Menschen in Verbindung gebracht werden, die glauben, Harry-Potter-Filme seien eine Charaktereigenschaft.“ Dutzende Kommentatoren stimmten ihr zu: „Alles, was Millennials tun, ist Potter-Quizze zu beantworten und Studentendarlehen zu haben“, hieß es – oder auch: „Die sorgen sich darum, in welchem Harry-Potter-Haus sie gewesen wären, und leben in Einzimmer-Apartments – ihr macht euch um die falschen Häuser Gedanken“.

Damit war der Kampf der Generationen freilich eröffnet, denn kein kulturelles Erzeugnis der vergangenen Jahrzehnte ist Millennials so heilig wie Harry Potter. Nicht von ungefähr belasten die transphoben Tweets von Erfinderin J. K. Rowling eine ganze Generation, weil der Mythos Harry dadurch einen ganz ekligen Knacks erlitten hat. Und nun noch dieser Angriff von Gerade-mal-Erwachsenen auf eine Galionsfigur vieler 90er-Jahre-Kindheiten, bei der sich die Begeisterung dank des fortlaufenden Zauberer-Franchise so wunderbar halb-nerdig ins Erwachsenenalter transportieren ließ – also, das ist einfach zu viel!

Zumal der Spott der Gen Z natürlich nicht in Witzchen über die Harry-Potter-Obsession erwachsener Menschen versiegte, die inzwischen immerhin ihre Hochschuldozenten oder Vorgesetzten sein könnten; nein, die ganze sorgfältig kuratierte Internetwelt der Generation Y, die dereinst als das Vermächtnis dieser Alterskohorte, die als erste so selbstverständlich im Netz unterwegs war, in die Geschichte eingehen sollte, wurde veräppelt – der Meme-Humor, die Beschwerden ans Erwachsenenleben, das Avocado-Toast- und Barista-Kaffee-Faible, Hashtag-Erfindungen wie #friyay.

Das Schlimmste aber ist, dass sich die Sticheleien der Gen Z gegen Millennials längst nicht mehr auf TikTok beschränken, eine App, die sie meinetwegen liebend gern für sich pachten können; eine Freundin musste sich kürzlich erst von einer jüngeren Bekannten, der sie ein Treffen aus Krankheitsgründen absagte, den Spruch – „Ach, du Millennial!“ gefallen lassen. *Seufz*, *ächz*, *stöhn*! So hätte man in einer fernen Zeit in ICQ-Sprache gesagt.

Aber klar, das ist die Arroganz der Jugend, dass man sich mit 20 im besten Fall überhaupt nicht vorstellen kann, wie schnell die ganzen Probleme des Erwachsenendaseins einen überrollen werden. Ging mir genauso. Insofern kann ich nur sagen: Der Tag, an dem man sich nur noch darauf freut, die Herausforderungen des alltäglichen Lebens bei einem Glas Frosé wenigstens für einen Moment zu vergessen, während die Spülmaschine im Hintergrund läuft und daran erinnert, dass man es wenigstens so weit gebracht hat, gebrauchte Tassen nicht mehr drei Wochen lang in der Spüle zu sammeln – dieser Tag ist schneller gekommen, als man sich jemals vorstellen kann.

Und jetzt entschuldigt mich, ich bin emotional erschöpft und muss mir zur Beruhigung auf Spotify Daniel Radcliffes Lesung des allerersten Kapitels aus „Harry Potter und der Stein der Weisen“ anhören.