Den Amazon-Bestsellerlisten zufolge stecken in diesem Text alle Themen, die in einem Buch vorkommen müssen, damit es ein Bestseller wird. Liebe Buchverlage, betrachtet dies also bitte als offizielles Exposé! Macht daraus das erfolgreichste Buch aller Zeiten. Gern geschehen.
Es waren einmal zwei Millennials in einer Großstadt. Einer der beiden hatte Depressionen, naja, depressive Verstimmungen, wer kann da schon so genau unterscheiden, jedenfalls musste der Millennial seinen Job in einem Großraumbüro kündigen, weil er die anderen Menschen bei der Arbeit nicht mehr aushalten konnten.
Eines Tages bekam Paul, so hieß der Millennial, eine rätselhafte Mail, in der stand, dass er in einem Café am Rande der Welt den Sinn des Lebens finden würde. Dann gingen alle Lichter aus, die Zivilisation schien verloren.
Paul aber machte sich auf den Weg zum Rande der Welt. Er steckte für unterwegs eine Grillbibel ein, falls er einmal Hunger bekommen würde, „25 Spiele für die Pause“ gegen Langeweile, und natürlich ein Pfefferspray gegen die gefährlichen Zombie-Banker.
Der andere Millennial war eine Frau. Sie hieß Marie – nein, Sarah. Nein, Marie. Sie konnte sich da immer nicht wirklich entscheiden, denn sie hatte eine Identitätskrise. Sie fühlte sich ein bisschen zu dick und wusste nicht, was einfacher wäre: Die etwas zu speckigen Knie im Zeichen der Body Positivity zu embracen – oder doch abzunehmen und zwar nach wissenschaftlichen Erkenntnissen? Mit Intervallfasten hatte sie es schon versucht, das hatte nichts gebracht.
Eines Tages, als Marie gerade ein neues All-in-One-Rezept in ihrem Thermomix kochte –spanische Minirouladen mit Chorizo, dafür braucht man nur drei Zutaten, rein damit in den Thermomix und fertig! – und sie sich gehörig dafür schämte, dass ihr Qinoa-Bowls mit rohem Lachs einfach nicht schmeckten, in dieser Situation plötzlich fielen Marie zehn Gründe ein, warum sie sofort all ihre Social-Media-Accounts löschen und auf eine kleine schottische Insel ziehen sollte. Einer der Gründe war: Social Media zerstört dein Leben. An die restlichen Gründe konnte sich Marie später nicht mehr genau erinnern, sie wusste nur, dass die Gründe unglaublich gut und dringend waren und sie endlich davon heilen sollten, schlank und schön im Schlaf werden zu wollen.
Zum Glück hatte Sarah von ihrer Großtante Margaux vor kurzem ein Haus auf einer kargen, aber von verwunschenem Charme geprägten schottischen Insel geerbt. Dorthin zog sie. Sie nahm nur 50 Euro mit, denn sie wusste, dass sie mit Freundlichkeit und Flexibilität auch so zurechtkommen würde.
Auf der Insel angekommen, stellte Marie fest, dass das Haus ihrer Großtante ganz schön verfallen war. Erst regte sie sich ein bisschen auf, immerhin neigte sie zu Factfulness und sah die Welt gern so, wie sie wirklich war – das Dach des Hauses hätte dringend ausgebessert werden müssen.
Marie wollte schon verzweifeln, da trat ihr Nachbar neben Marie, ein älterer Herr. „Das ist nur eine Frage der Leidenschaft“, sagte der Nachbar, „du musst die Veränderung wollen, Marie! Aber sei beruhigt, hier gebe ich dir einen Handwerkskasten mit mentalen Werkzeugen an die Hand, die dir ein gutes Leben zwar nicht garantieren, es aber wahrscheinlicher machen werden.“
Marie begriff sofort und stellte einen Eimer unter das Leck im Dach des Hauses.
„Danke, Herr Nachbar“, sagt Marie.
„Kein Problem“, antwortete dieser, „morgen komme ich wieder und verrate dir auch noch die Geheimnisse der Sieger, in 30 leicht nachvollziehbaren Strategien für den Erfolg im Persönlichen wie Beruflichen. Damit wirst du übrigens unsere Demokratien retten können. Aber nur, falls das von Interesse ist, ich will mich nicht aufdrängen.“
Marie willigte freudig ein und reichte dem Mann ihre letzten 50 Euro für seine Hilfe, sie fand, das sei eine gute Investition in die Zukunft. Sie hatte nämlich noch Werte, jawohl, und das hatte der Nachbar erkannt, sie war selbstverständlich gerne bereit, alle Demokratien zu retten, die das nötig hatten.
Und so hätte Marie ihr Leben auf der schottischen Insel frohgemut weiterführen können. Doch am nächsten Tag nahmen die Geschehnisse eine unerwartete Wendung. Der Briefträger, ein junger, gut aussehender Mann, brachte ihr ein Telegramm, er hatte dafür extra vom Festland zur Insel fahren müssen, durch einen heftigen Sturm, fast wäre er gekentert.
„Du bist ein Adoptivkind. Und außerdem eine Hexe. Liebe Grüße, ein unbekannter Geheimnisverräter“, stand in dem Telegramm. Mit einem Mal ergab Maries Leben Sinn, sie hatte ja immer geahnt, dass sie anders war als andere. Sie fühlte sich, als ob sie im Innern endlich ganz zusammenwuchs, als ob das Kind in ihr Frieden gefunden habe, und sie erkannte, dass das Leben zu kurz für später war.
Der Briefträger machte sich bemerkbar und fragte, ob er eine Tasse Tee bekommen könne, ihm sei sehr kalt geworden auf der Überfahrt.
„Natürlich, wenn du mir deinen Namen verrätst?“, sagte Marie und zauberte eine Tasse Tee herbei, sie war ja immerhin eine Hexe.
„In meinem früheren Leben hieß ich Paul“, sagte Paul, der Millennial, denn er war der Briefträger. Auf seiner wundersamen Reise auf der Suche nach dem Sinn des Lebens hatte er viele Tage und Nächte allein verbracht, war an steilen Bergwänden herumgeklettert, hatte mit einem Floß den Atlantik überquert, einmal wäre ihm fast ein Zeh abgefroren, der kleine am linken Fuß. Jetzt war Paul müde. Selbst der Job als Briefträger, den er um des nackten Überlebens willen angenommen hatte (sein Sechs-Minuten-Tagebuch, das als Grundlage für einen Action-Film geplant gewesen war, hatte keinen Filmboss interessiert) – ja selbst dieser Job als Briefträger war ihm zu viel. Er wollte ausruhen, fast wünschte er sich das Großraumbüro zurück, das er einst verlassen hatte. Dort hatte es immerhin Snickers umsonst gegeben. Und einen Tischkicker.
„Ich bin ausgestiegen und suche nun nach dem Sinn des Lebens. Vielleicht finde ich ihn ja endlich hier bei dir, Marie? Sofern für die digitalisierte Welt keine wünschenswerte, funktionale Zukunft entworfen wurde, mag ich an unserer Leistungsgesellschaft nämlich nicht mehr teilhaben“, fragte Paul und blinzelte Marie hoffnungsvoll an. „Ich dachte, wir könnten vielleicht eine Pflanzenarztpraxis zusammen aufmachen, mit Pflanzen kenne ich mich aus, auf meinen Reisen habe ich mich gar oft mit Kräutern selbst geheilt.“
„Wenn wir nur zehn Minuten am Tag in unsere Achtsamkeit investieren, dann werden wir gelassen und stressfrei leben können, Paul. Bist du mit den Geheimnissen der Kristalle vertraut?“, fragte Marie und reichte ihm einen Kristall. Es war ein Rosenquarz.
Gemeinsam umfassten sie den Kristall und sahen sich dabei tief in die Augen.
Leider stellte sich heraus, dass der Kristall ein Portal für Zeitreisen war.
Paul wurde in das 15. Jahrhundert teleportiert und musste dort ein Leben als Schweigemönch fristen. Seine leckeren Grillrezepte verhalfen ihm aber zu großer Beliebtheit unter den anderen Mönchen. Außerdem brachte er den Mönchen Schweige-Scharade bei, für die Pausen zwischen den Gebeten.
Marie aber fand sich im alten Ägypten wieder, wo sie einem Pharao als Sexsklavin dienen musste (er stand auf Peitschen und sowas), ihn später mit ihrem Liebreiz und ihrer Güte aber zum Feministen umerzog. Der Pharao schenkte Marie schließlich sogar ein Ausfüllbuch, in das er all seine Liebeserklärungen eingetragen hatte. Die Liebe ist der Schlüssel zur Emanzipation und Arthrose nur eine Lüge.
Das war die Geschichte von Marie und Paul – den beiden Millennials, die einfach keine Lust mehr auf Großstadt hatten.
Schreibe einen Kommentar