„Bitte anschnallen, Ihr Urlaub fängt an“
Die Reiseleiterin heißt Nicole, oder Frau Müller, das darf man sich aussuchen, und heißt ganz herzlich willkommen im „wohlverdienten“ Urlaub, der hier und jetzt in einem hellblauen Reisebus beginnt. Natürlich kann Nicole-Frau Müller gar nicht wissen, ob der Urlaub wohlverdient ist, oder ob man nur Glück hatte im Leben und ein paar Ackerflächen für viel Geld verkaufen konnte, weil dort ein Autobahnzubringer gebaut wurde, und von dem Geld jetzt schön zwei- bis viermal im Jahr nach Südspanien fliegen kann.
Aber das ist auch egal jetzt. Alle im Bus sind frühmorgens aufgestanden, um den ersten Flieger nach Spanien zu erwischen, und da kann man schon mal von wohlverdient sprechen.
„Bitte schnallen sie sich an“ , sagt Nicole-Frau Müller, und sofort greifen die Urlauber nach dem Gurt, man weiß ja nicht, wie die Straßen in Spanien so sind, muss ja nicht sein, dass man sich gleich verletzt, weil der Busfahrer zu schnell um die Kurve brettert, kennt man ja, spanisches Temperament und so.
„Gudrun, hast du noch ein Brot übrig“ , fragt ein Mann. Gudrun zieht ein Brot in Alufolie verpackt aus ihrer Nylonhandtasche, darauf steht mit Edding „Käse“ geschrieben. „Im Hotel kriegen wir ja erst mal nichts, Buffet ist erst ab sieben“, sagt Gudruns Mann, wickelt das Brot aus und beißt rein. Gudrun isst nichts.
„Wenn sie mir noch ein paar Minuten ihrer Aufmerksamkeit schenken würden“, sagt Nicole-Frau Müller und tippt auf ihr Mikrofon. „Eins, zwei, Test, Test, hören mich alle“.
Die Urlauberköpfe nicken schwach. Man musste schon sehr früh aufstehen heute. Nächstes Mal soll Frau Gibritz aus dem Reisebüro doch den späteren Flug buchen. Wobei, so hat man noch mehr vom Tag. Hat alles seine Vor- und Nachteile.
„Liebe Urlauber“, fährt Nicole-Frau Müller fort, „vor ihnen liegen erholsame Wochen hier bei uns im schönen Andalusien, Andalucia heißt das auf Spanisch. Buenos Dias! Guten Morgen. Haha, da haben sie gleich ein bisschen Spanisch gelernt. Unsere Fahrtzeit beträgt 45 Minuten, wir fahren zuerst ins Hotel Playa Azul, heben Sie mal die Hand, wer dort aussteigt, ah ja, alle da, dann ins Playa Princesa und schließlich ins Playa Royal. Ich zähl jetzt mal durch.“
Nicole-Frau Müller zwingt alle Urlauber, sich zu melden, was aber ganz interessant ist, denn so kann man sehen, wer welches Hotel gebucht hat.
Ein junges Paar mit Kleinkind meldet sich für das Hotel Playa Azul. Das hatte man im Katalog gesehen, vier Sterne, eher was für Familien, mit vielen Rutschen im Pool, na, die Kleine wird da Spaß haben. Die junge Frau sieht ja sehr erschöpft aus, wahrscheinlich alles viel für sie mit dem kleinen Kind, und er wirkt nicht so, als würde er zu Hause viel machen, wie der schon auf dem Bussitz lümmelt, also wirklich.
Zwei ältere Damen werden im Playa Princessa Urlaub machen. „Wir fahren da seit 15 Jahren hin“, erzählt eine von ihnen. „Giselas Mann ist schon so lange tot, seither verreisen wir so oft zusammen wie möglich“. Gisela sagt: „In dem Jahr, als Heinz-Dieter starb, war ich bestimmt 20-mal weg. Ach, ich freu mich, Irmtraud!“
Eine Ehepaar um die 50 berichtet Nicole-Frau Müller, wie schwierig es war, das Golfgepäck im Flieger mitzukriegen, im Internet hatte doch gestanden: „Transfer inklusive“, davon hatten die am Flughafen aber nichts wissen wollen! 120 Euro mussten sie noch mal extra bezahlen! So hatte man sich den Urlaubsbeginn eigentlich nicht vorgestellt. „Da kann ich jetzt leider nichts machen, bitte klären sie das mit ihrem Reisebüro zu Hause“, sagt Nicole-Frau Müller und fängt an, Prospekte zu verteilen. Da stünden die wichtigsten Informationen über Andalusien drin, außerdem alle Ausflugspreise. Ein Tag in Sevilla kostet 170 Euro, da ist das Mittagessen aber schon mit drin.
Gudruns Mann fragt, ob Gudrun eigentlich die Buchungsbestätigung für das Hotel dabei habe. „Also Werner, na klar! Du denkst auch an nichts! Jetzt kommst du damit an! Was würdest du denn machen, wenn ich die vergessen hätte!“ Werner schüttelt sich unwirsch, er könne auch nicht an alles denken, immerhin hätte er einen wahnsinnigen Stress gehabt in der Kanzlei noch bis kurz vor der Abreise. Außerdem sei ihm sauheiß, er habe richtige Schweißausbrüche.
„Wir sind eben in Spanien“, sagt Gudrun und schaut aus dem Fenster. Hier blüht der Oleander selbst auf dem Mittelstreifen der Autobahn.
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