Mit aufreizenden Dekolletés kann man tatsächlich wieder für Aufsehen sorgen. Rihannas Busen fasziniert aktuell zum Beispiel sehr. Warum große Brüste dringend mehr öffentliche Unterstützung brauchen.

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Cara Delevingnes erschreckter Seitenblick sagte alles: Oh mein Gott, da sind ja Brüste. Und sie sind so präsent, dass man sie nicht ignorieren kann! Zur Premiere des gemeinsamen Films „Valerian“ hatte Film-Kollegin Rihanna ihr Dekolleté in einem roten Kleid von Giambattista Valli eindrucksvoll hochgeschnürt. Einmal bückte sich die Sängerin ein wenig, um ihren Rock zu richten. Die Paparazzi hielten gnadenlos drauf, vielleicht würde ja „was rausfallen“.

Tat es nicht, die wardrobe malfunction blieb aus. Dafür verlieh Rihannas Auftritt der Debatte um die öffentliche Inszenierung von Brüsten neuen Schub. Die ist im Jahr 2017 nämlich wieder im vollen Gange. Sehr vereinfacht gesagt geht es dabei um die uralte Frage: Wie viel Dekolleté dürfen Frauen zeigen, ohne als offenherziges Dummchen abgestempelt zu werden? Wie viel Busen erlaubt der moderne Feminismus?

Mit viel Brust fühlen sich viele Menschen nämlich schnell überfordert. Siehe Rihanna. Ihre neuerdings etwas fülligere Figur und ergo auch üppigeren Brüsten haben bereits zu etlichen Artikeln inspiriert. Die britische Boulevard-Zeitung „The Sun“ titelte zu Rihannas Valerian-Auftritt „Big Boobs bounce back!“ und freute sich über den neuen „Trend“, dass man Brüste wieder zeigen dürfe. Das amerikanische Onlinemagazin „Allure“ antwortet mit einer Anklageschrift – große Brüste zu bejubeln sei fieses Bodyshaming gegenüber Frauen mit kleinen Brüsten. Überhaupt solle jede Frau den Umgang mit dem eigenen Busen so handhaben, wie sie lustig sei, alle Körper seien es wert, gefeiert zu werden.

Nein! So einfach ist das nicht. Dieser Reflex der political correctness, mit dem alle Körper und Frauen medial gleich geschrieben werden sollen, lässt sich beim Thema Busen nicht so ohne Weiteres anwenden. Es besteht ein erheblicher Unterschied, ob eine Rihanna oder eine Cara Delevingne ein knappes Dekolleté-Kleid tragen. Die eine erinnert darin an ein barockes Venus-Gemälde, die andere sähe aus wie ein niedliches Internatsmädchen beim Abiball.

Frauen mit größeren Brüsten müssen sich jeden Tag entscheiden: Ziehe ich dieses Kleidungsstück, dieses enge T-Shirt, diesen V-Ausschnitt-Pullover, dieses ärmellose Top an – obwohl meine Brüste darin ziemlich prominent zur Geltung kommen? Es geht hier nicht nur um irgendein Körperteil, sondern um ein sekundäres Geschlechtsmerkmal. Brüste können wohl kaum auf gleicher Ebene behandelt werden wie Fußknöchel, die man halt mal zeigt, mal nicht, je nach Wetterlage.

Große Brüste sind immer auch Angriffsfläche. Mal für Grapsch-Opas, mal für Netzfeministinnen, auch für jene mit rosa Papaya-Vagina-Instagram-Accounts. Siehe Rihanna: Mit weniger Busen wäre sie in ihrem roten Kleid vielleicht auf einer Best-Dressed-Liste gelandet. Ihr Dekolleté hätte aber niemand weiter beachtet. Es wäre niemals diskutiert worden, ob es jetzt mutig ist, Brüste so offenherzig zu inszenieren. Oder ob ein Lob dem prominenten Busen schon wieder gefährliches „Bodyshaming“ darstellt, weil sich die individuelle Weiblichkeit ja nicht an der Größe oder Form des Busens manifestiert.

Und so weiter. Die populär-feministische Argumentationskette ist bei jedem Körperthema die gleiche, egal, ob’s um Schambehaarung oder die Wadenstärke geht. Vor allem gipfelt sie stets in der Erkenntnis, dass dass alle Körper gleich schön seien.

Die Grundidee ist ja in Ordnung. Dennoch muss doch insgeheim allen klar sein, dass üppigere Brüste auf das Leben einer Frau eine andere Wirkung haben als beispielsweise kräftige Oberarme. Weil sie, wie das Rihanna-Beispiel zeigt, irgendwann zwangsläufig zum Thema werden. Model Emily Ratajkowski erklärte jüngst in einem Interview mit der australischen „Harper’s Bazaar“ – einem der vielen, die sie zu ihren D-Körbchen-Brüsten schon geben musste –, dass sie wegen ihres Busens viele Modeljobs nicht bekäme. Und das bei 14 Millionen Instagram-Followern.

Brüste können der aufgeklärten Allgemeinheit offenbar auch im Jahr 2017 nur in geringen Dosen androgyner Bekömmlichkeit zugemutet werden. Als Handyhülle mit Busenaufdruck. Als T-Shirt mit Nippel-Illustration. Immer als Abbild einer niedlichen Kindfrau-Brust, die nicht so schnell mit Sex und Weiblichkeit und Fruchtbarkeit assoziiert wird. Es soll ja niemand provoziert werden. Der Feminismus-adäquate Busen ist ein asexueller Busen, er steht für die #Girlpower-Idee, aber nicht für die weibliche Brust an sich.

Es geht hier nicht gewiss nicht darum, ob kleine oder große Brüste schöner, weiblicher sind. Es geht darum, dass die Ästhetik des Instagram-Feminismus’ einen vollen, mütterlichen Busen nicht wirklich vorsieht. Kendall Jenner im durchsichtigen Oberteil wird als Nippel-Befreierin gefeiert; Kim Kardashian im gleichen Outfit gilt als – naja, typisch Kardashian eben. Zwischen den beiden Schwestern liegen schätzungsweise zwei Cup-Größen. Große Brüste zu bewundern, das wirkt so, als klebe man immer noch an einem überholten Pamela-Anderson-Schönheitsideal; und deshalb wird der üppige Busen im Diskurs rund um Körperbilder sicherheitshalber lieber ausgeblendet.

Deshalb weiß auch unter jungen, emanzipierten Frauen niemand so recht, wie man einem Rihanna-Dekolleté begegnen soll. Im Zweifel entscheidet man sich dafür, körperliche Unterschiede und Eigenheiten zu ignorieren. „Body Neutralism“ nennt man das in der Fachsprache.

Man kann Rihanna für ihre Busen-Inszenierung, für ihren Mut zu einer offensiven Weiblichkeit, aber auch einfach mal loben. Das ist kein Niedermachen von Frauen, die nicht so aussehen wie Rihanna (und das sind sehr viele). Herrje! Das ist einfach eine Aufforderung an alle Frauen, die schon mal in einem sehr teuren Wäschefachgeschäft standen, weil ihnen anderswo wieder kein BH gepasst hat, ihre Brüste nicht aus Angst vor gierigen Blicken oder Bodyshaming-Aktivistinnen zu verstecken.

Die Gleichmacherei von Frauenkörpern bringt doch niemandem etwas. Vielleicht gäbe es weniger Sexismus auf der Welt, wenn alle Frauen Körbchengröße 75B tragen würden. Ist aber nun mal nicht so. Wer Brüste hat, der hat sie halt. Und dann ist es doch sinnvoller, wie Rihanna zu verfahren und mit dem vorhandenen Material zu arbeiten statt dagegen. Also: Busen raus! Was Cara Delevinge bei der „Valerian“-Premiere anhatte, daran kann sich jedenfalls niemand mehr erinnern.

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