Mit wenigen Styling-Regeln kann jeder so aussehen, als sei man gerade aus dem Club gestolpert und nun auf dem Weg zu einer Indie-Modenschau. Die Berliner Hipster haben ihren Look nämlich seit Jahren nicht verändert.

Dieser Artikel ist zuerst auf iconist.de erschienen.

Warum sehen sämtliche Berliner „Fashion Hipster“ eigentlich seit Jahren genau gleich aus? Eine Frage, die einen dieser Tage schon mal länger beschäftigen kann. Während der Berliner Modewoche sind nämlich noch mehr Mode-Möchtegerns als sonst zwischen Mitte und Neukölln unterwegs. Bei einer Poolparty anlässlich der Fashion Week müssen jedenfalls etwa 80 Prozent der Gäste zuvor ein Dresscode-Memo erhalten haben: „Hipster since 2010.“

Seither haben sich die Regeln des Hipster-Stylings nicht verändert: viel Schwarz, viel Bein (im Sommer nackt, im Winter Netzstrumpfhose), labbrige T-Shirts (gern mit Applikationen oder Aufdrucken auf Brustwarzenhöhe), Bomberjacken, Schnürbooties (im Sommer wie im Winter und immer gern mit Plateau-Gummisohle). Dazu Schlapphut oder Schiebermütze, weil das so irre cool nach 90ies-Grunge aussieht. Oder zumindest dunkelrote Lippen und Weißblond gefärbte Haare.

Eigentlich hätte man seit 2010 nicht mehr shoppen gehen müssen, die Insignien des Hipstertums sind die gleichen geblieben. Ohne Pelzjacke vom Flohmarkt oder halb zerstörte Oversized-Barbour-Jacke (natürlich Beaufort oder Bedale, nicht International!!!) braucht man sich in der Berghain-Schlange gar nicht erst anzustellen. Das war 2010 so. Das ist heute noch so.

Beim Anblick der vielen, vielen mehr oder weniger identisch angezogenen jungen Berliner könnte man meinen, die Bürgerämter verteilten jungen Zugezogenen seit Jahren konkrete Shopping-Listen, um die Transformation von der Kleinstadtabiturientin zum Berliner Szenegirl erfolgreich zu vollziehen: „Neu-Berliner, die sich nicht innerhalb von zwei Wochen eine abgeschnittene Jeans-Shorts zulegen, haben mit einer Bußgeldstraße von bis zu 200 Euro zu rechnen.“

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Ach ja. Eigentlich hat man ja schon gar keine Kraft mehr, sich überhaupt noch über Hipster lustig zu machen. Trotzdem ist es wirklich faszinierend, dass sich in Berlin seit Jahren sehr viele Leute so anziehen, wie sie meinen, dass das in dieser Stadt eben gemacht wird. Wer neu nach Berlin zieht, braucht ungefähr zwei Wochen, um zu kapieren, dass man die Segelschuhe von Timberland lieber in den Keller packt – und sich stattdessen dringend ein Paar monströse Nike-Sneaker mit transparenter Luftkissen-Sohle anschaffen sollte. Das können gut investierte 150 Euro sein, denn wenn sich der Berliner Medien-/Kunst-/Modeszene-Look weiterhin so wenig verändert, kann man sicher sein, dass die Sneaker auch in fünf Jahren noch als „mega nice“ gelten.

Und so legen die jährlich neu nachrückenden Generationen von Coolness-Aspiranten den Verdacht nahe, dass es mit der viel beschworenen Berliner Individualität doch nicht so weit her ist. Im Grunde reicht eine Garderobe aus etwa zehn schwarzen Kleidungsstücken (darunter bitte unbedingt ein Crop-Top, eine High-Waist-Mom-Jeans und ein Kunstleder-Minirock!) zuzüglich einer 70er-Jahre-Korrekturbrille reicht vollkommen aus, um sich in dieser Stadt, an den Universitäten und in den Start-up-Büros wohlzufühlen.

Was man sonst noch dringend benötigt, um in Berlin nicht unangenehm aufzufallen und sich trotzdem irre modisch versiert zu fühlen: Adiletten, Tennissocken, Jogginghose, eine runde John-Lennon-Sonnenbrille. Eben alles, was zumindest minimal nach einem verlotterten Lebensstil aussieht. So, als würde man jeden Tag um 12 Uhr mittags mit Zigarette im Mundwinkel aufwachen, um an einem Roman über polyamouröse Verwicklungen weiterzuschreiben.

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Ist ja in Ordnung, dass man in gewissen Kreisen einen gewissen Look pflegt. Könnte man vermutlich sogar als Kulturtechnik bezeichnen. Außerdem – nichts gegen Schwarz, und überhaupt, eine modische Uniform hat immer etwas Tröstliches. In einer unübersichtlichen Stadt wie Berlin kann man sich schon mal einsam fühlen, und dieses Gefühl der Verlorenheit muss man ja nicht noch forcieren, indem man als einziger Mensch auf der Torstraße ein Lacoste-Polohemd trägt. Schlimmer noch, Ralph Lauren. (Preppy-Alarm! Wir sind hier nicht in München!!)

Und trotzdem: Warum fällt den ganzen Kunststudenten, PR-Mädchen und Wannabe-Instagram-Stars eigentlich nie etwas Anderes ein, als zum schwarzen Minirock schwarze Doc Martens zu tragen? Soll das immer so weitergehen, wird sich der Kate-Moss-Anno-1996-Gedächtnislook nun jahrzehntelang wiederholen, bis die Hipster von heute selbst erwachsene Hipster-Kinder haben und alle zusammen in Fila-Sweatshirts und Reebok-Sneakern zur Familienfeier ins Prince Charles ziehen?

Es steht zu befürchten. Wenn Sie sich in puncto Stil also kreativ selbst verwirklichen wollen, dann ziehen Sie besser nicht nach Berlin. Das klappt hier nicht. Dem Zwang zum Hipstertum kann niemand auf Dauer entgehen. Ein Jahr in Berlin, und Sie werden glauben, ohne verkehrt herum aufgesetzte Basecap mit Nike-Swoosh nicht mehr aus dem Haus gehen zu können. Wer seinen individuellen Geschmack kultivieren möchte, der sollte lieber nach Baden-Württemberg ziehen – zum Häusle-Bauen.

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