Ich wollte nur ein Outfit heraussuchen. Für einen Tag auf der Fashion Week. Und plötzlich verzweifelte ich an größeren Zusammenhängen

Es war während der Fashion Week. Natürlich. Wenn sich die Gelegenheiten innerhalb einer Woche, bei denen man auf ausschließlich auf Modemenschen trifft, derart häufen, dann wird man sich ganz plötzlich wieder der Tatsache bewusst, dass man tatsächlich in der Modebranche arbeitet. Und dass es da nicht egal ist, wie man aussieht, ganz egal, wie groß sich manche Gestalten die Themen #girlpower und #neinzubodyshaming auch auf die Fahne schreiben wollen.

Und so stand ich eines Morgens völlig verzweifelt vor dem Kleiderschrank, ich fand nicht, wonach ich suchte, nichts wollte so recht zusammenpassen, meine Oberschenkel schienen mit jedem neuen Outfitversuch an Umfang zuzunehmen. Schon 100 Mal hatte ich mir vorgenommen, mal richtig Ordnung in meine Besitztümer zu bringen, um genau solche Situationen in Zukunft zu vermeiden. Dazu gekommen war es noch nie. Gleichzeitig verteufelte ich mich für mein mir selbst auferlegtes Shoppingverbot in Anbetracht anstehender Steuernachzahlungen.

Ich wütete solange im Schrank herum, bis sich sämtliche Oberteile auf Bett und Boden verteilt hatten. Das Ergebnis war erschütternd. Der anwesende, männliche Outfitkommentator sagte nur: „Julia, so KANNST Du nicht rausgehen, Du siehst aus wie Ron Weasley beim Hogwarts-Ball!“ Ich trug ein Rüschenoberteil von & Other Stories und einen alten, grünen Akris-Rock meiner Mutter.

Da konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Es waren Tränen der Wut und des Selbstmitleids. Wieso besitzen anscheinend alle Menschen, die in meiner Branche arbeiten, coolere Klamotten als ich? Woher haben die alle so viel Geld? Können die nur besser sparen – oder haben die einfach bessere Connections zu PR-Leuten, die sie mit den entsprechenden Teilen ausstatten? Wieso reden und schreiben die bekannten Mode-Superexperten andauernd davon, dass fünf bis sieben gut gekaufte Basics bereits ausreichten, dann wäre man für alle Gelegenheiten gerüstet – um dann in immer neuen Designer-Looks aufzukreuzen? Und wieso, wieso zur Hölle, sind mir all diese Dinge so wichtig – bin ich doch weiter ins Modeklischee gerutscht, als ich es je für möglich gehalten hätte?!?

An diesem Tag kam ich eineinhalb Stunden zu spät zur Arbeit. Keine Sorge, das habe ich wieder aufgeholt. Beruhigt habe ich mich auch wieder. Einigermaßen zumindest. Und doch geht mir der Tag nicht aus dem Kopf. Weil er das eigentliche Dilemma zeigt, dem man nicht entgehen kann, wenn man in der Modebranche arbeitet: Nur zu träumen, das reicht irgendwann nicht mehr. Wer will schon immer nur durch Magazine blättern, wenn die Dinge, die darin abgebildet sind, stets unerreichbar bleiben. Denn man braucht schon sehr viel Fantasie, um sich in einem 15 Jahre alten italienischen Blazer wie in Balenciaga zu fühlen. Deshalb sind wahrscheinlich die Instagramstars auch so erfolgreich: Weil sie ihren Followern vermitteln – hey, man muss weder Supermodel noch Superbrain sein, um das zu haben, was ich alles habe.

Ich stimme immer dafür, einen individuellen Stil zu pflegen, in der Mode wie im restlichen Leben, und ich freue mich in meiner Garderobe am meisten über Familienerbstücke und ungewöhnliche Teile, die ich mal günstig im Sale „geschossen“ habe, wie man so sagt. Und doch: Wenn man noch jung ist und Spaß an Mode hat, dann will man über das Sweatshirt von J.W. Anderson und die Glitzersandalen von Miu Miu nicht immer nur schreiben. Dann will man das haben. Auch, wenn dieser Reflex beweist: Ihr Modeidioten, jetzt gehöre ich wirklich zu Euch.

Den Tag nach der Sinneskrise verbrachte ich im KadeWe. Ich entdeckte drei wahnsinnig reduzierte Schätze. Konnte ich mir eigentlich trotzdem nicht leisten. Egal: Ich fühlte mich nach dem Einkauf so beschwingt wie lange nicht mehr. Zu Hause stellte ich fest, dass ich das Abendkleid im Eifer des Gefechts in der falschen Größe mitgenommen hatte (gut, daran war auch ein bisschen die unmotivierte Verkäuferin schuld) und die neuen Stiefel zum neuen Kleid irgendwie doch wieder nicht passten, auch ansonsten eigentlich nur zu einer Hose. Ich bräuchte also eigentlich noch eine neue Hose. Geweint habe ich deswegen nicht. Irgendwas ist halt immer.

Aber vielleicht habe ich die Fähigkeit, sich ohne größere nervliche Anstrengungen gut und abwechslungsreich anziehen zu können, bislang tatsächlich unterschätzt. An jenem grauenhaften Donnerstagmorgen schien mir eine besondere Begabung in Sachen persönlichem Styling, die eine Komplettverschuldung durch panisches Onlineshopping undenkbar macht, sehr erstrebenswert zu sein. Und Menschen, die mit diesem Talent gesegnet sind, empfand ich als deutlich lebenstüchtiger als solche, die, sagen wir, als Teenager mal ganz gut Klavier gespielt haben. Schrecklich!

Ich hoffe, ich bin nicht die Einzige, der mal solche Gedanken durch den Kopf gehen. Falls nein, lasst es mich bitte wissen – in den Kommentaren, bei Instagram, wo auch immer!