Sobald sie da sind, dreht sich alles nur um sie – und jede Gruppenaktivität wird zur Qual. Eine Typologie der beiden anstrengendsten Exemplare
I. Die Super-Offene
Sie hat was Kulturelles studiert, ist nun eine überqualifizierte, unterbezahlte Sekretärin beim Stadttheater, trägt auch deshalb fast ausschließlich 1-Euro-Klamotten aus dem letzten Thailandurlaub, Pumphosen und sowas, und gefährdet mit ihrem Fahrstil Leib und Leben der Mitmenschen, die über die Mitfahrzentrale in ihre Klapperkiste von Auto geraten sind. Die Super-Offene hat aber ein großes Talent: Sie ist dermaßen überzeugt von ihren social skills, berauscht von ihrer Gabe, andere mit langweiligen Dritte-Welt-Reise- und Festivalgeschichten in Grund und Boden zu quatschen, dass kaum jemand wagt, so viel Selbstbewusstsein entgegenzutreten. Und zum Beispiel mal nachzufragen, wie sie ihre oftmals mit teuren Flügen verbundenen Freizeitaktivitäten überhaupt finanziert, wenn ihr Geld nicht so wichtig wie der ideelle Wert ihrer Arbeit ist (Pressemitteilungen über das Kindertheaterfestival von Pusemuckel zu verfassen, bringt jetzt keine Reichtümer ein). Die Super-Offene plappert tagein, tagaus vor sich hin, stellt Fragen, ohne sich wirklich zu interessieren, und erzählt Party-Anekdoten, von denen niemand überprüfen kann, ob sie sich wirklich zugetragen haben, da sie allesamt ihren 20 Auslandssemestern und Auslandspraktika entstammen. Die Super-Offene hat diese Art von tösender Wischi-Waschi-Unterhaltung drauf, seit sie 14 ist, und da so viele Leute eh nicht richtig hinhören, wenn jemand was erzählt, kommt sie damit bislang ganz gut durch. Gilt als sozial, aufgeschlossen, liebenswert chaotisch.
Vor allem in Gruppen, in denen sich die Leute noch nicht so gut kennen, sind plappernde Geschöpfe erst einmal unersätzlich, da braucht man jemanden, der die Stille übertönt. Aber wenn Menschen sich irgendwann so gut kennen, dass sie von selbst Gesprächsthemen finden, nervt die Super-Offene irgendwann nur noch. Weil sie jede Unterhaltung unterbricht, um sich selbst einzubringen; es würde ihrem Status innerhalb der Gruppe widersprechen, mal die Klappe zu halten, um jeden Preis will sie ihren Ruf als offene, muntere Person bewahren. Schlimm wird’s, wenn Männer dabei sind: Da hat die Super-Offene nämlich nur noch ein Ziel – alle anderen anwesenden Damen als uncool und unlocker zu diskreditieren, damit sie selbst als sexy Kumpeline dasteht. So fragt sie bei einem Nachmittag am See 25-mal scheinheilig nach, wieso man denn bloß nicht mit ins Wasser käme, dass wäre ja absolut langweilig. Soll man dann ernsthaft 25-mal antworten, dass man in dem Jahr schon eindeutig zu viele Blasenentzündungen hatte, um am ersten schönen Tag im Mai in einen 16 Grad kalten See zu springen? Die Super-Offene bringt ihre Geschlechtsgenossinnen stets zielsicher in soziale Dilemmata: Wer sich rechtfertig, Begründungen für das eigene Verhalten liefert, gilt als bürokratisch-langweilig oder kapriziös, wer ihr die Meinung geigt, als streitsüchtig.
Was tun? Keinesfalls sollte man versuchen, mit der Super-Offenen in Sachen Unterhaltungskunst zu konkurrieren. Ihr kann man höchstens mit Ironie beikommen und ihre unter dem Deckmantel der Authentizität verteilten Spitzen („Du bist eher so der ordentliche, ruhige Typ, oder?“) mit einem überlegenen Stirnkräuseln quittieren. So, als ob man eine Person, die derart viel Quatsch verbreitet, nicht ernstnehmen könnte (kann man ja auch nicht). Kommt es irgendwann zur Konfrontation, sollte man nicht zurückschrecken; vielleicht denken die andern, man reagiere über – egal! Hauptsache, man ärgert sich selbst nicht noch monatelang, dass man an dem Nachmittag am See wieder nix gesagt hat.
II. Die Schwierige
Die Schwierige hat sich, ganz wie die Super-Offene, einen Nimbus der Unantastbarkeit erschaffen. Ihre Macken sind weithin akzeptiert worden, als Teil einer fragilen, komplizierten Persönlichkeit. Wenn die Schwierige sitzen bleibt, wenn nach einer Feier alle gemeinsam den Tisch abräumen, wenn sie so leise mit dem Sitznachbarn spricht, dass man selbst von der Unterhaltung abgeschnitten wird, wenn sie jede Kommunikation mit einer Serie von völlig unnötigen, absurden Gegenargumenten zum Erliegen bringt („Der Ball ist blau“. – „Naja, die Farbwahrnehmung ist ja relativ, ne!“), wenn alle zu Fuß ins Freibad laufen müssen, weil sie Fahrradfahren hasst – dann nimmt man das erst mal so hin. Die Schwierige ist eben so, heißt es allenthalben, die muss man so nehmen, was soll man auch tun, bei ihr hat man das Gefühl, jedes ehrliche Wort könnte eine nachhaltige psychische Störung verursachen, und dann wäre man die gemeine Person, von der die Schwierige in der Therapiegruppe als „Trigger“ spricht.
Von der Schwierigen kann man lernen, dass es einen im Leben nicht unbedingt weiterbringt, möglichst unkompliziert zu sein. Sie inszeniert sich als Holly Golightly, als zartes Wesen, dem lieber niemand auf die Füße treten will. Die Schwierige scheut sich nicht, ihre kruden Gewohnheiten und Eigenheiten voll auszuleben und etwaige Missachtungen bezüglich der Rücksichtnahme auf diese in großer Runde zu debattieren. Entspannte Café-Besuche mit der Schwierigen enden in psychotherapeutischen Offenbarungsrunden; wer da nicht wenigstens eine Essstörung vorzuweisen hat, sollte der Schwierigen gar nicht erst mit logischen Argumenten kommen: „Mach doch erst mal Dein Jura-Studium zu Ende, dann hast Du wenigstens einen Abschluss.“ – „Was, bist Du verrückt, ich halte das nicht aus, ich bin auch nicht so robust wie Du! Ich könnte niemals den ganzen Tag in einem Büro sitzen, schrecklich! Ich werde freie Künstlerin und bemale Kiesel! Ich muss aber mal sagen, deine Art, mit mir zu kommunizieren, gefällt mir nicht, in so einem Freundschaftsverhältnis kann und will ich mich nicht wohlfühlen.“
Die Schwierige kann perfide manipulieren. Sie setzt auf den Entnervtheitsfaktor, und das funktioniert: Wer stundenlange Beschwichtigungstreffen vermeiden will, richtet sich lieber mal nach den Wünschen der gnädigen Dame. Und so orientieren sich ganze Gruppenunternehmungen nach der Schwierigen: Wenn sie bei einem Geburtstag nicht ins türkische Restaurant mit will, weil sie seit drei Tagen und vier Stunden Veganerin ist, disponiert das Geburtstagskind schnell um, man geht also zum Italiener, weil es da für jede Unverträglichkeit irgendetwas gibt. Dass die Schwierige nach einem kritischen Blick die Speisekarte auf den Tisch schmeißt und ihren Freund mit großen Augen bittet, doch lieber mit ihr zum Vietnamesen zu gehen, aber zu dem billigen, da sei es besonders gut, voll der authentische Garküchen-Style, jedenfalls könne sie diese italienische Folklore nicht ertragen – geschenkt. Und so ziehen die beiden von dannen, ihnen wird noch das Versprechen abgenommen, doch wirklich, wirklich zurückzukommen. Gerade will man ansetzen, das Verhalten der Schwierigen zu kritisieren, überhaupt hat sich auch Max komplett verändert, seit er mit ihr zusammen ist – da macht die Super-Offene schon ein betroffenes Gesicht: „Die Arme, sie hat ja so viele Unverträglichkeiten, ganz schlimm ist das. In Belarus wäre sie mal gar nicht zurecht gekommen, ich habe da ja ein halbes Jahr lang gelebt und Land und Leute so richtig kennen gelernt, also ich sage Euch, das war vielleicht eine Erfahrung!“
Was tun? Offen mit der Schwierigen reden und sagen: „Dein Verhalten nervt“. Am besten liest man sich vorher Konfliktlösungstipps in der „Psychologie heute“ oder auf „Edition F“ durch, ein paar bedeutungsschwangere Floskeln schaden nie. Die Schwierige muss merken, dass man sich Gedanken über die Wortwahl gemacht hat. Also dann vielleicht doch nicht sagen, „Dein Verhalten nervt“, sondern sowas wie „Dein Verhalten stellt mich vor Herausforderungen, derer ich mich gern annehmen möchte, bitte hilf mir, dich besser zu verstehen.“ So fühlt sich die Schwierige ernst genommen und überlegen zugleich, weil ihr die Kompetenz in küchenpsychologischen Fragen zugewiesen wird. Falls das Verhalten jedoch so sehr nervt, dass gar nichts mehr geht, hilft nur noch Eines: den Kontakt komplett abzubrechen. Auch, wenn man dann möglichweise auf die Bekanntschaft einer weltbekannten Kieselsteinbemalkünstlerin verzichten muss.
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